NEUES DEUTSCHLAND | »Erstaunlich, welche Macht Bücher haben«

von | Feb 29, 2020

Leseförderung

»Erstaunlich, welche Macht Bücher haben«

Der Münchner Friseur Danny Beuerbach fördert das Vorlesen auf (s)eine ganz besondere Art

Von Lilo Solcher

»Danny mit den Scherenhänden« nennen sie ihn, den »magischen Friseur« oder den »Vorlesefriseur«. Danny Beuerbach ist auf alle Fälle alles andere als ein normaler Friseur. Obwohl er das Handwerk von der Pike auf gelernt hat – in Frankfurt am Main. »Das war immer schon mein Traumberuf«, sagt der Mann, dem die krausen Haare buchstäblich zu Berge stehen.

Als Friseur lebt Beuerbach zunächst wie ein Weltenbummler: Seine Arbeit für eine britische Firma führt ihn bis nach China und Mittelamerika. Diese Zeit sei für ihn der Türöffner gewesen. Er habe weltweit verschiedenste Schneidetechniken und Haarstrukturen kennengelernt. »Das hat mich interessiert. Wie bei einem Koch, der zuerst auch weltweit Rezepte ausprobiert und dann sein eigenes Süppchen kocht.«

Und genau das tut Beuerbach nun: Er hat eine eigene Schneidetechnik entwickelt, hat Künstlern, Fußballern und Obdachlosen die Haare schön gemacht, den Pianisten Lang Lang in ein Playmobil-Männchen verwandelt und auf einer Pegida-Demonstration unter dem Motto »Make hair not war« zum Haareschneiden aufgerufen. Berühmt geworden ist der Wahl-Münchener allerdings aus einem anderen Grund.

Der umtriebige Cross-Art Künstler hat sich als Vorlesefriseur einen Namen gemacht. »BOOK A LOOK_ and read my book« heißt sein Projekt: Vorlesen und Haare schneiden. Auf die Idee, sich von seinen Kunden aus einem Buch vorlesen zu lassen, kam Beuerbach vor ein paar Jahren – weil er selbst kaum Zeit fand, ein Buch zu lesen. Das erste Buch, das ihm vorgelesen wurde, war »Der Alchimist« von Paulo Coelho, erinnert sich Danny. Wie passend: Schließlich haben für ihn auch Haare »etwas Magisches«.

Weil der Friseur nicht nur Haare und Bücher liebt, sondern auch Kinder, wurde aus der Idee eine Leseförderung für den Nachwuchs. Kinder, die ihm im Salon vorlesen, zahlen fürs Haareschneiden die Hälfte. »Es wird so lange gelesen, wie der Haarschnitt dauert«, beschreibt der Friseur die Prozedur. Danach hätten alle ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. »Und wenn am Ende auch die Frisur sitzt, sind auch die Eltern glücklich.«

Doch Danny will mehr. Deshalb verlässt er immer wieder die Komfortzone Salon und geht auf die Straße. In Viertel, »wo man schon von Weitem merkt, dass hier nicht gelesen wird«. Hier schneidet er den Kindern die Haare für lau, wenn sie ein Buch in die Hand nehmen. »Ich will ihnen zeigen, dass Lesen alles andere als uncool ist«, sagt er. »Ich war ja auch mal so ein Kind, habe spät erst Lesen gelernt, das aber gut verstecken können.« Den vorlesenden Kindern gibt er das Gefühl, wichtig zu sein, auch wenn sie Probleme beim Lesen haben.

»Ich würde sie niemals korrigieren«, betont Danny, »das wäre der komplett falsche Ansatz.« Die Kids sind für ihn die echten Stars. Und damit sie eine Bühne haben, bringt er seinen Teppich mit. Ein bisschen ist dann so ein Haarschnitt wie ein Märchen. Auch wenn der bunte Teppich nicht fliegt: Die Fantasie trägt die Kinder fort aus ihrem Alltag in fantastische Welten. Wie Danny sich das vorstellt, ist in seinem Buch beschrieben. Es heißt, natürlich, »Der magische Frisör« und ist bei Ravensburger erschienen. Jetzt können die kleinen Kunden »ihrem Friseur« auch aus seinem eigenen Buch vorlesen.

Aufgewachsen ist Danny in einem Frauenhaushalt im hessischen Gelnhausen. Nach einem Vorlese-Event in Zürich hat er per Zufall seine Halbschwester kennengelernt und deren zwei Kinder. Als Lila und Erik hat er die beiden in seinem Buch verewigt. So ist der Mann, der gern von sich sagt, er sei so alt wie Peter Pan, also auch unter die Autoren gegangen.

Aktionskünstler, Leseförderer, Autor – das Multitalent sprudelt geradezu vor Ideen. Eine Kinderfriseur-Kette würde er gern ins Leben rufen, die Kindern beweist, dass es Spaß machen kann, zum Friseur zu gehen. Auch einen Nachfolger für sein Buch kann er sich vorstellen. Schließlich ist er überzeugt davon, dass es nie genug Bücher geben kann.

Eines seiner Lieblingsbücher ist Nina Wegers Kinderbuch »Als mein Bruder ein Wal wurde«. Es geht um zwei Brüder, von denen der eine nach einem Unfall in ein Wachkoma fällt, um Liebe, Verlust und Trauer. Das Buch hätte ihm geholfen, mit dem Tod seiner Mutter fertig zu werden, erzählt Danny. »Schon erstaunlich, was für eine Macht Bücher haben können.«

Inzwischen kennt er einige Autoren und Illustratoren persönlich. »Ich sitze bei denen im Wohnzimmer«, wundert er sich und schüttelt seine Lockenpracht. »Wow, das habe ich nie im Leben erwartet.« Dabei würden viele sagen, er hätte eine blühende Fantasie. Seine vielen Projekte sieht er heute als Bausteine, die sich mittlerweile zu einem erkennbaren Mosaik fügen. Aber trotz all seiner Träumereien hätte er nie gedacht, dass seine Visionen einmal so großen Erfolg haben könnten.

Heute fragen Bibliotheken und Buchgeschäfte bis aus Zürich bei ihm an. Als er vor Jahren bei Büchereien mit seiner Idee vorstellig wurde, hagelte es Absagen. Eine einzige Bücherei lud ihn ein; das Börsenblatt berichtete über die Aktion – von da ging’s steil bergauf. Auch auf der Leipziger Buchmesse im März wird Danny vertreten sein und zeigen, was ein »magischer« Friseur erreichen kann.

Beuerbachs Engagement trägt Früchte. So ist er für den avj-Medienpreis nominiert, der auf der Buchmesse verliehen wird, und er ist zum zweiten Mal in der Jury des bundesweiten Vorlesewettbewerbs vertreten, bei dem rund 600 000 Vorleserinnen und Vorleser ins Rennen gehen. Außerdem wird der Vorlesefriseur die Schirmherrschaft der »Buch Berlin Kids 2020« übernehmen, der Bucherlebnistage für Kinder, Jugendliche und Familien.

Aber vor allem will er Kindern beweisen, das Träume wahr werden können, »dass man alles werden kann, wenn man will«. Allerdings warnt er auch vor falschen Schlüssen: »Geschenkt bekommt man nichts.« Man muss wohl für sein Ziel brennen – wie dieser Tausendsassa aus München. Einen ganz besonderen Traum will er sich in nächster Zukunft verwirklichen: durch die Welt reisen und Friseure kennenlernen, die keinen Salon und keine Hightech-Ausrüstung haben, sondern nur das Nötigste. In Indien etwa oder in afrikanischen Ländern. Da, meint er, könnte er noch etwas lernen und darüber auch berichten – auf seiner eigenen Internetplattform. Dann geht das Multitalent womöglich auch noch unter die Filmemacher.

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Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/1133518.lesefoerderung-erstaunlich-welche-macht-buecher-haben.html