Donaukurier | Bitte schneiden, waschen und lesen!

von | Dez 2, 2020

Danny Beuerbach verwandelt am Wochenende den Münchner Gasteig in einen Lese- und Frisiersalon

LESE- UND FRISIERSALONerstellt am 18.11.2019 um 19:00 Uhr aktualisiert am 02.12.2020 um 12:35 Uhr München (DK)

Vielleicht sollte man mal versuchen, beim Metzger ein Lied zu singen, um dafür eine Leberkäs-Semmel zu erhalten? Er würde sich wohl wundern. Außer, er hat zufällig schon von Danny Beuerbach gehört. Der Münchner Friseur-Artist hat schon auf Hochhausdächern und im Fesselluftballon Haare geschnitten. Seine überraschendste Idee ist aber, nicht gegen Cash, sondern gegen Leistung zu arbeiten: Der quirlige Schnellsprecher lässt sich von seinen Kunden während der Arbeit vorlesen und stundet ihnen dafür die Rechnung um 50 Prozent.

Tausche Haarschnitt gegen Vorlesen: Danny Beuerbach kümmert sich um Frisuren und Leseförderung.
Tausche Haarschnitt gegen Vorlesen: Danny Beuerbach kümmert sich um Frisuren und Leseförderung.privat

Überwiegend arbeitet er nach diesem Konzept mit Kindern, was ihn zu einem Exoten in der Leseförderung macht. Und diese ist unvermindert wichtig! Eine aktuelle Studie von „Stiftung Lesen“ belegt die Schlüsselfunktion dieser Kulturtechnik auch heute, wo alles auf Handys und Tablets wischt und mit einem Mausklick Filmchen startet. Nicht nur lesefaule Grundschüler schicken sich statt Texte lieber minutenlange Sprachnachrichten. Auch viele Eltern sind weg vom Buch. Laut der Studie lesen 32 Prozent aller Eltern von Zwei- bis Achtjährigen in Deutschland selten oder nie vor, ein Wert, der seit 2013 gleich bleibt. Und leider stimmt das Klischee: Je niedriger der Bildungsstand der Eltern, desto weniger wird vorgelesen.

Dabei bindet das Vorlesen gerade bei jüngeren Kindern auch das Zeigen, Erklären, Zählen oder andere Elemente der Spracherziehung ein, die der Entwicklung wichtige Impulse geben. Rund 78 Prozent aller Kinder, welche mehrmals in der Woche Vorleseeinheiten genießen dürfen, fällt es in der Schule leicht, selbst lesen zu lernen. Doch schon das Wort „Leseförderung“ klingt nach Langeweile und Mühsal. Danny Beuerbach geht mit seinen Vorlese-Frisuren dagegen einen neuen und unkonventionellen Weg.

Er weckt die Lust am Lesen, während es doch scheinbar um etwas ganz anderes, nämlich die neue Frisur geht. Er veranstaltet seine speziellen Frisur-Sessions freischaffend. In verschiedenen Salons, Bibliotheken und Jugendgruppen tritt er mit seinem Handwerkszeug an, kommuniziert Termine über Facebook, Twitter und Instagram.

Derzeit sucht er einen Partner für die Erstellung einer Homepage. Unter dem Slogan „Lesen macht schön, Vorlesen macht schöner“ tritt er kommendes Wochenende auch auf der Münchner Bücherschau an. Er steht mit Bürste und Schere bereit, während seine jungen Kunden mit Kinderbüchern gewappnet sind.

Herr Beuerbach, wie sind Sie zum handwerklichen Teil Ihres Berufs gekommen?
Danny Beuerbach: Ich würde sagen, ich bin mehr oder weniger hinein gestolpert. Damals wusste ich noch nicht, was mich erwartet – bis ich über die Jahre das Handwerk und die wirkliche Kunst dahinter entdeckt habe. Heute bedeutet es für mich viel mehr als nur Mode. Ich liebe den Umgang mit Menschen und würde sogar behaupten, ich bin verliebt in das Material „Haar“.

Hatten Sie als Kind jemanden, der Ihnen vorgelesen hat?
Beuerbach: Bei uns zuhause wurde eher wenig gelesen. Dafür erinnere ich mich daran, dass wir viel zusammen getanzt und gesungen, gelacht und Theaterstücke aufgeführt haben – die meisten Stücke haben wir uns selbst ausgedacht. Wir waren richtige Stand up comedians. Das war unser großes Miteinander.

Was wird Ihnen denn heute meistens vorgelesen?
Beuerbach: Meistens Erstlesergeschichten, sowas wie der Leserabe, also kurze Bücher, die man in einem Haarschnitt fertig lesen kann.


Nicht jede und jeder kann spannend vorlesen, ist das nicht manchmal auch quälend?
Beuerbach: Überhaupt nicht. Bei mir gibt es keine guten oder schlechten Leser. Über die Zeit habe ich gelernt, mich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. So gebe ich dem Kind das Gefühl, wir zwei vergessen alles um uns herum. Und ganz ehrlich, wenn ich dann doch mal was verpasse, dann frag ich nach. Was ja auch schön für das Kind ist. So kann es mir die Passage noch einmal in freien Worten erzählen.

Haben Sie selbst schon mal etwas auf Gegenleistung verhandelt, wenn ja, was?
Beuerbach: Ich bin schon immer ein großer Freund der Tauschkultur. Am liebsten würde ich alles tauschen. Früher waren es Murmeln gegen Sticker. Heute gibt’s fürs Vorlesen einen Haarschnitt: Du liest mir vor, ich mach dich schön. Und eben genau das ist der Kern des Leseförderungs-Projekts „BOOK A LOOK“.

Das Gespräch führte

Sabine Busch-Frank.


Bücherschau

Die Auftritte „Lesen macht schön, Vorlesen macht schöner“ für Kinder finden am Samstag und Sonntag, 23. und 24. November, jeweils um 11 Uhr und 15.30 Uhr im Münchner Gasteig (Foyer 1. OG.) statt. Eintritt frei! Die Münchner Bücherschau und das Literaturfest laufen noch bis zum 1. Dezember und bieten jeweils eine Vielzahl von Veranstaltungen, Lesungen und Workshops für Erwachsene und Kinder an unterschiedlichen Orten. Mehr unter www.muenchner-buecherschau.de und www.literaturfest-muenchen.de

Quelle: https://www.donaukurier.de/nachrichten/kultur/Bitte-schneiden-waschen-und-lesen;art598,4392211